Aus den Aufzeichnungen von Hans Haffenrichter

 

 

 

Was ich hier versuche, ist: im Bereich der Seele Spuren nachgehen, wie ein Geo­loge die Spuren der Metalle im Erdinneren verfolgt, Spuren meine ich, von der Wahrheit zur Ganzheit führend, von Glauben zur Einbildungskraft, von der Ur­sache zum Sinn. In Rücksicht darauf wäre zunächst die Relation: Wahrheit und Schein, Wesen und Erscheinung, in der Terminologie Schopenhauers Wille und Vorstellung festzuhalten. Und dagegen wäre zu stellen die andere, von der Ganzheit zum Bilde, von der Ganzheit zum Gesicht, zurForm.Wahrheit und Ganz­heit sind einander komplementär und greifen in einander ein, wie Glaube und Einbildungskraft. Wie glauben, heißt also weiter an die Wahrheit - dank unserer Einbildungskraft aber haften die Bilder, haften am Ganzen oder um der Ganzheit willen, haften nicht an der Wahrheit oder tun dies nur in Allegorien.

Dank der Einbildungskraft s/hddie ß//c/e/'(und nicht die Erscheinungen). Von da gelangen wir dann ohne Umschweife zum Rhythmus, welcher auf gewisse Weise die Welt der Ursachen mit denen der Sinne und der Deutbarkeit ver­knüpft, womit wir einen großen Bezug innerhalb des Geistig-Seelischen aufge­deckt haben. Alles Ganze ist als solches rhythmisch bewegt, und Rhythmus bedeutet dann dementsprechend, daß in Existenz und Bild Sein und Figur (sich ?) nicht trennen können. Weshalb auch nur Bilder und nicht Erscheinungen als rhythmisch bewegt bezeichnet werden dürfen.

Tagebucheintrag, 1948

 

 

Es wird langsam Zeitlich klarzu werden und zu entscheiden fürdas.was nottut im Leben, in meinem Leben. - Ich habe mich auf vielen Gebieten erprobt und versucht. Das, was ich am besten kann.sollte ich auf Unbedingtes konzentrieren. Vielleicht gewinne ich so auch die Freiheit und Gelassenheit wieder, den tragen­den Glauben. Ich unterrichte und lehre noch im Privaten. Aber ist es nun meine wesentliche Aufgabe? Vielleicht kann ich es sehr gut und leiste einen notwendi­gen Beitrag (im Ausgleich sozial gesehen). Es gibt mir das tägliche Brot, aber es strengt mich so sehr an, dass ich inzwischen weiss: es ist etwas zu viel. -- Da sind zwei Dinge, die mich selber beglücken: das ist die absolute und die figürli­che Kunst. Dies gilt es zu vollbringen etwa mit einem Beitrag (unleserlich: der anders ist als gewöhnlich und den ich selber nicht missen kann?) Vielleicht würde dies mich auch soweit erfolgreich machen, dass wir leben können! frei leben, ohne zuviel Sorge und Hast!

Tagebucheintrag, 1949

 

 

Der Mensch im sphärischen und geistigen Kraftfeld.

Fortschritte der Wissenschaften in den letzten Jahren haben sich auf das täg­liche Leben in starkem Masse ausgewirkt. Technische Verwöhnung.......... (hier unleserlich) Der Traum unserer Väter, dass

eine Technisierung sich glückbringend auf das Leben auswirken würde, hat sich nicht erfüllt.

Das riesige Ueberhandnehmen der Bildreportage in Film und Druck hat ein starkes Abflauen der imaginativen Kräfte des Menschen zur Folge gehabt: man glaubt dem Wirklichkeitsbericht mehr, als der eigenen Ueberlegung. Die gros-sen Erkenntnisse sind immer einfache, elementare Grundgedanken gewesen. Die Grundlage der vorgriechischen und asiatischen Weltbilder ist eine Weltbe­ziehung des Fühlens (der sinnlichen Erfahrung) und der natürlichen Beziehun­gen, die in der Welt herrschen.

Tagebucheintrag, 1949

 

 

In einer Schicht unter dem Bewußtsein leuchten die Bilder oft nur rudimentär und unvollständig auf und erreichen ihren Reichtum an Form und Farbe. Dieser Vorgang ist nicht ohne Kontrolle des Gestaltungsdranges, also keine automati­sche, unbewußte Arbeitsweise.

Die Anstrengung bei diesem Malen, das die Bilder im Bewußtsein haben muß, ver­langt sogar höchste Konzentration und demnach ein Freisein von spekulativem Denken - sonst mischt sich leicht ein konstruktives Element in die Gestaltung ein (Gefahr des Dekorativen). Oft hilft dabei das Hören von Musik - sie schafft eine gehobene Einstellung aufs Malen und löst von der Umgebung.

Trotzdem setzt der Fluß des Bildens (Bildmalens) manchmal aus. Ich gehe dann gern in den Garten oder betrachte schöne Kristalle - manchmal lese ich dann auch Gedichte. Man muß warten können, bis dies echte in Formsein.fit sein, sich einstellt. Manchmal geht alles glatt weiter - in den späten Nachtstunden oder vor dem Einschlafen male ich dann innerlich weiter. Oft half mir auch Meister Ekkehard oder Suzuki. - Einige für mich sehr wichtige Bilder erscheinen mir nachts im Traum: einige ganz abstrakte Räume, einige Engelsgestalten, Schöpfungsbilder. Aber es ist dann doch recht schwer, sie so transzendiert ins Bild zu bekommen.

Ist die hier notwendige Arbeitsspannung und Konzentration ungewöhnlich? Es scheint mir, die hier gemäße geistige Sammlung mit starker seelischer Unter­strömung der höchsten Empfindlichkeit ist das Geheimnis der künstlerischen Begabung und Intuition. Sie reift wohl erst im Laufe des Lebens nach vielen, oft schmerzlichen Erfahrungen und Bewährungen in allem, auch den glück­lichen Lebensläufen, wenn das Unbedingte als ein sehr hoher Maßstab des Menschseins erkannt wird.

Tagebucheintrag, undatiert

 

 

 

Der Trieb zum Malen ist mir eingeboren. Das Glück meiner frühen Kindheit waren ein paar Tuben Farbe, mit denen ich meine ersten Versuche bestritt, Men­schen und Dinge meiner Umgebung wiederzugeben. Puppentheater war meine Wonne. Nicht nur als Zuschauer, sondern schon als kleiner Knirps von 5 Jahren bastelte ich mir ein Theaterchen mit Kulissen, Hintergründen und Figuren und veranstaltete Aufführungen z.T. schauerlicher Dramen vor meinen Kamera­den im Kindergarten.

Während der Schulzeit und sogar im ersten Weltkrieg wurde auf Wanderungen und im Ruhequartier eifrig Landschaft skizziert. Erste technische Förderung durch Malkurse bei Prof. Manstein in Würzburg vor dem Kriege. Und dann die Jugendbewegung! Die Romantik und die menschlichen Kontakte, die uns Junge damals, jedem Wetter standhaltend, durch die Lande streifen liessen, haben mir die tiefe Verbundenheit zum Mitmenschen und zur Natur unserer Erde geschenkt.

Eigentlich wollte und sollte ich Ingenieur werden. Eine Mechaniker-Lehre in den Werkstätten der Würzburger Universität war die Vorbereitung. Auf mein Gesel­lenstück - typischerweise eine optische Farbenmischmaschine - bin ich sehr stolz.

Aber es sollte anders kommen. Gerade aus dem Felde zurück 1918 fuhr ich nach München. Dort wies mich „zufällig" ein Fremder darauf hin, dass am näch­sten Tag der Isenheimer Altar nach Colmar gebracht würde. Wenn mich Bilder interessierten, so meinte er, so müsste ich dies Werk eigentlich sehen. Ich ging zur Pinakothek.-Nach den entsetzlichen Erlebnissen des Krieges, unter dem Ein­druck des deutschen Zusammenbruchs schlug das Meisterwerk mit einer unvorstellbaren Wucht in meine Seele ein. Das Erlebnis der Auferstehungs-Tafel war nicht zu schildern. Ich wusste plötzlich, dass es für mich hinfort nichts anderes geben würde als Malen, Malen und nochmals Malen. - Nicht etwa als ob ich mich vermessen hätte, es Grünewald gleich zu tun, sondern weil mich vor seinen Bildern die Farbe und der damit verknüpfte unmittelbare Ausdruck wesensmässig als mein Element erfasste.

Von München aus fuhr ich, aufgeladen mit dem Altar-Erlebnis, ins Gebirge;

kletterte zur Karwendelspitze und versuchte, mit mir ins reine zu kommen. Das Resultat war, dass ich meine Studien an der Kunstgewerbeschule in Nürn­berg aufnahm.

Die stärkste Förderung meiner Anlagen und Impulse verdanke ich dem Weima­rer Bauhaus, wo ich 1921 bis 1924 nicht nur in dauerndem technischen Training war, sondern auch in jener unvergleichlichen Atmosphäre mich entwickeln konnte. Aeusserlich passierte zwar ununterbrochen etwas. Aber der innere Mensch befand sich in der guten Luft, in der er gedeiht. Es war eine wunderbare Zeit des Reifens unter fortwährendem Experimentieren und Suchen nach neuen Wegen. Meinen Bühnen-Neigungen konnte ich in Schreyers Bühnen­seminar fröhnen.

Damals begann mein Suchen nach dem malerischen Ausdruck für dynamische Wachstumsprozesse. Es entstanden Bilderzyklen über pflanzliches Leben, die


dann 1936 in meinem Bilderbuch vom Leben der Roggenpflanze eine geord­nete Reihe abgaben.

In meinen jungen Jahren geht auch die plastische Arbeit schon an. Ich habe neben dem Malen stets an Plastiken gearbeitet. Eine entspannende Arbeit, weil weitaus problem-freier! Vom Bauhaus aus ging ich für 2 Jahre nach Kopenhagen an die Königliche Akademie zu Prof.Utzon Frank, dem ich sehr viel verdanke. Ausser der Figur hat mich von jeher das menschliche Antlitz, diese Landschaft, vom Erleben geformt und durchgebildet, gereizt. Diese Neigung brachte mir bei Freun­den den schönen Titel „Kopfjäger" ein. Aber auch die Schönheit und der Charme der „kleinen Brüder", der Tiere war Anlass zu plastischen Gestaltungen. Als nach 1933 der Weg, den ich als Maler vormir sah, wenigstens in der Oeffentlichkeit nicht mehr gangbar wurde, verdiente ich mein Brot mit der Plastik. Das war umso notwendiger als ich meinen Lehrstuhl als Kunsterzieher an der Pädagogischen Akademie in Elbing/Wpr. 1933 sofort verlor. Das Licht, dessen Faszination mich schon beim Isenheimer Altar ergriffen hatte, fand ich in den späteren Jahren in seiner stärksten Konzentration bei der Begeg­nung mit Kristallen. Sie haben mich seither nicht mehr losgelassen. Durchschei­nendes Licht im Kristall eröffnet Einblicke in die Ordnung, die Gesetzmässigkeit der Welt: Herausforderung zu malerischer Kultur und zum unablässigen Mühen um die Transparenz der Farbe.

Manuskript 1962

 

 

Woher kommen diese neuen Bilder?

Aus dem Spiel? - Spiel allein ist nur Lockerungsübung - da fällt ein Lichtstrahl in den Raum, bückt sich, spiegelt sich zum Doppel, überschneidet sich mit den Lichtspielen aus einer anderen Lichtquelle, oder wird durch den Lampenschein vielfältige Lichtblume. Ich habe dies nicht nur fast mein Leben lang mit innerem Glück beobachtet - z.B. die Sonne im vereisten Mühlenrad in Siebenbürgen (1917), sondern habe selber mit einer und mehreren Lampen, mit beweglichen Schablonen, Figuren und sogar mit den Menschen selbst experimentiert und sogar einige neuartige Lichtspiele komponiert und im „Sturm" bei Herwarth Waiden vorgeführt (Text: das „Blumenwunder" von Lothar Schreyer) Musik von Herman Meise. Da entstehen seltene entmaterialisierte Bilder, wie ich sie noch male, wie sie sich bei Feininger, Klee, Moholy u.a. finden. - Die Spiegelungen im Wasser! Forscher haben mir Elektronenbewegungsbilder, Spektralanalysen .. .und vieles mehr gezeigt, weil sie meine Bilder den ihren verwandt fühlten. ... Auffallende Baumformen und Wurzelstöcke in ihrem inneren Klangbild.

Das Innere von Blüten und Knospen und ihre langsame Entfaltung.

Und vor allem die herrlichen Kristalle aus des Schöpfers Hand, voller Ordnung und Gesetz, und doch nicht starr. Auf die minimale Abweichung von genauem


Maß kommt es an, so wie bei der (?) Effekte auf die Fehlstellen, ohne die es keine Stoffumwandlung gibt.-Ja, die Kristalle und Mineralien, man muß sie oft und besinnlich ansehen, bis sie einem aufgehen. Wenn man längere Zeit - bei mir dauert's oft Jahre - Meteoritstrukturen im Schliff studienhalber gezeichnet hat - es ist viel schwerer, als man denkt, dann geht einem hier und da auf, daß diese mannigfaltigen Strukturen Signaturen sind - Signaturen aus dem weiten unbekannten Kosmos, aus der ersten Hand des Schöpfers sind.

Viele Bilder wachsen - wie aus unscheinbaren Keimen - da brauche ich gute Zeit zur Entfaltung.

Schon 1921 kamen die ersten kosmischen Bilder. Als die ersten zwei in mei­nem kleinen Zimmer im geglückten Bild durchbrachen, war ich hinterher so erschöpft, daß ich mich hinlegen mußte.

Damals entstanden die ersten abstrakten Pflanzen und Blüten, die dann 1921 / 1923 zu ganzen Reihen „Geburt der Blume" und „Kosmogonie der Blüten" führten. Damals: Goethes „Metamorphose" Hilfe und Anregung. 1923 -1926 entstanden dann die reiferen Aquarelle über die Metamorphose, zu denen der Naturforscher R. Francee sagte: „Wenn die Bilder Goethe gesehen hätte". Nun versuchten Naturforscher, mir mit exakten Kenntnissen der biologi­schen Vorgänge des Wachstums weiter zu helfen. Einige Jahre exakten Natur­studiums, auch mit Lupe und starker Vergrößerung, entstanden dann viele reali­stische Pflanzenbilder, die danach in Zusammenarbeit mit Siegfried Johann von Sivers - (Text) - zu dem Buch: „Unser täglich Brot" Lebensgeschichte des Roggens - im Verlag Essener Verlagsanstalt führten 1935.

Manuskript, undatiert

 

 

Terra Incognita - Wesen und Wirkung der Farbe

Das Wesen der Farbe ist den meisten Menschen ein geheimnisvoller Bereich, der nicht nur bestimmte Empfindungen auslöst, sondern innere Qualitäten erschließt, also eine Wirkung in tieferen Schichten des Erlebens weckt. Dies ist zwar bekannt, aber nicht in seinen vollen Wirkungen vertraut und bewußt. Der Reichtum an Farbtönen und -nuancen ist selbst mit den 40 - 60 000 in der Chemie erzeugten Tönen nicht einzuholen. Farbige Reproduktionen und Farb-fotographie haben viele Menschen auf eine so kümmerliche Weise primitiv im Sehen gemacht, daß man es eigentlich merken müßte. Aber vielleicht hat das auch eine positive Wirkung. Der farbige Reichtum in der Natur und in der Malerei und Weberei hat keine Konkurrenz in derTechnik zufürchten, sondern führt den Menschen immer aufs Neue zu echter Wahrnehmung und Mitschwingung im seelischen Bereich, jenseits des physikalischen Wissens.

Ich male zu meinem Vergnügen und zu dem meiner Freunde. Obwohl ich die Welt immer mehr liebe, je besser ich sie sehen und verstehen lerne, ist es nicht


meine Aufgabe, sie abzubilden. Mein Auftrag ist es, etwas ganz persönlich beizutragen. Ich „musiziere" in Farben mit immer neuen Melodien und Tonarten zu SEINEM Lobe und SEINER Glorie.

Manchmal sind meine Bilder Berichte von Entdeckungsreisen in unbekannte Regionen unserer Innenwelt. Oft sind es auch nur kleine Gedichte in einer für den Verstand nicht zu begreifenden Sinn-Sprache (die „verstehen" allerdings meine liebsten Partner und auch die Kinder unmittelbar): farbige Lieder ohne Worte einfach für's Herz.

Dert ägliche Umgang mit Farben und das leidenschaftliche Bemühen, eine ganz bestimmte Intensität derf arbigen Klänge zu finden, ist dem Maler wie ein Exerzi­tium lebenslang aufgegeben. Farben haben eine sinnliche und eine geistige Qualität, die meist nur langsam nach reicher Erfahrung, im vertrauten Umgang mit ihnen und in der Meisterung im Malen erreicht werden kann. Farbe als Mittel des Ausdrucks und der Gestaltung hat, wie alle Kunst, eine drei­fache Bedeutung.

Im Wort Kunst, das vom althochdeutschen kunnan kommt, steckt nicht nur das Können, sondern auch das Künden geistigen Innehabens. Das gilt besonders für die Malerei. Jedes Bild muß sich in seiner vielschichtigen Wirksamkeit bewähren:

in der Gestaltung der Oberfläche mit ihren ästhetischen und dynamischen Impulsen,

in seinem Bedeutungsgehalt und Sinnbild,

in der tiefen Schicht des Inne-werdens eines Unsagbaren und Unbedingten. „Der supramentale Auftrag"

Meine Arbeit ist nicht nur eine persönliche Liebhaberei, sie ist auch ein ernsthaf­ter Auftrag. Man kann es einen immanenten Forschungsauftrag nennen: Über­schreiten der Grenzen des Sichtbaren und Realen, Aufdeckung der inneren Welt­räume und Ausblicke ins Offene; Auffinden von neuen Wegmarken; Chiffren des Geheimnisvollen in Spuren und Strukturen unseres erweiterten Bewusstseins. Aber auch das feine Gewebe uralterund urneuer Traumwirklichkeiten voll zarter Rhythmen darf uns nicht verloren gehen. Alle diese Aufgaben scheinen mir von großerwichtigkeit, um das Humane in dieser Welt voll technischer Mani­pulationen und Erstarrung zu sichern, denn ohne Kunst degeneriert der Mensch.

 
Tagebucheintrag, veröffentlicht in: Bremer Beiträge zur freien Volksbildung, Heft 8, herausge­geben von der Bremer Volkshochschule, „Wege zum integralen Bewusstsein (eine Festgabe für Jean Gebser zum 20.8.1965)"